Eine tiefblaue Winternacht legte sich über Kiel, und mit ihr kam die alljährliche Last auf Brigitte. Seit ihr Mann vor fünf Jahren gegangen war, schien das Licht in ihrem Leben immer spärlicher zu werden, besonders in den dunklen Monaten. Brigitte, eine Frau von 78 Jahren mit einem Herzen voller Güte, aber auch einer Seele, die die fehlende Helligkeit schmerzlich spürte, verbrachte die Tage meist in ihrer gemütlichen, aber nun so stillen Wohnung. Die Traurigkeit hatte sich wie ein Schleier über sie gelegt, und selbst die leuchtenden Weihnachtsdekorationen in den Fenstern der Nachbarn konnten ihre Stimmung kaum aufhellen. Ihr Hausarzt hatte ihr einmal Tageslichtlampen empfohlen, aber sie hatte das als neumodischen Schnickschnack abgetan.
Dieses Jahr jedoch war anders. Ihre Nichte Lena, eine junge Ergotherapeutin, besuchte sie kurz vor Weihnachten und bemerkte Tante Brigittes gedrückte Stimmung. „Tante Brigitte“, sagte sie sanft, „erinnerst du dich an die Tageslichtlampen, von denen der Arzt sprach? Ich habe gehört, sie sollen Wunder wirken bei der Winterdepression. Wie wäre es, wenn wir es einfach mal ausprobieren?“ Brigitte zögerte, aber Lenas warmes Lächeln war entwaffnend. Wenige Tage später stand ein schlankes, elegantes Gerät in Brigittes Wohnzimmer. Lena erklärte ihr geduldig, wie sie es benutzen sollte: jeden Morgen dreißig Minuten lang, während sie ihren Kaffee trank oder die Zeitung las.
Die ersten Tage waren ungewohnt. Brigitte saß vor dem hellen Licht das so anders war als das gedämpfte Schummerlicht, an das sie sich gewöhnt hatte. Manchmal schloss sie die Augen und versuchte, sich einen Sommertag vorzustellen. Doch nach einer Woche bemerkte sie eine Veränderung. Es war subtil, fast unmerklich. Sie sang leise zu den Weihnachtsliedern im Radio mit, etwas, das sie seit Jahren nicht mehr getan hatte. Der Weg zum Bäcker, der ihr sonst so beschwerlich vorkam, fühlte sich leichter an.
Nach zwei Wochen war der Unterschied erstaunlich. Brigitte begann, ihre alten Fotoalben durchzusehen, lachte über die lustigen Erinnerungen mit ihrem Mann und plante sogar, einen Freundinnenbesuch zu organisieren. Das Grau in ihrem Herzen schien sich langsam aufzulösen, ersetzt durch eine sanfte, goldene Wärme. Sie fühlte sich nicht nur wacher und energiegeladener, sondern auch ihre Gedanken wurden klarer und positiver. Die Melancholie wich einer neuen Lebensfreude.
Eines Nachmittags, als die Sonne kurz durch die Kieler Wolken brach und einen goldenen Schein auf ihr Wohnzimmer warf, saß Brigitte vor ihrer Tageslichtlampe. Sie lächelte. Es war nicht die Sommersonne, aber das Licht der Lampe hatte etwas in ihr geweckt, das sie verloren geglaubt hatte. Es war die Erkenntnis, dass selbst in den dunkelsten Zeiten ein kleiner Funke Hoffnung, ein wenig künstliches Sonnenlicht, ausreichen kann, um die Welt wieder heller erscheinen zu lassen. Brigitte wusste, dass der Schmerz um ihren Mann bleiben würde, aber er war nicht mehr alles, was sie fühlte. Dank des Lichts, das sie jeden Morgen empfing, war ihr Herz wieder offen für die kleinen Freuden des Lebens, und sie freute sich auf die Tage, die vor ihr lagen.