Brigitte ihr Bruder Thomas und die Tageslichtlampe.

Ein Jahr war vergangen, und der Winter hatte Kiel erneut mit seiner grauen Decke umhüllt. Doch in Brigittes Wohnung war alles anders. An diesem Vormittag, ihrem 79. Geburtstag, tanzten die Sonnenstrahlen ihrer Tageslichtlampe über die Wände und ließen die kleinen Wellen im Aquarium ihrer Guppys wie Diamanten funkeln. Ihr Kanarienvogel Hansi, der die letzten Winter meist still in seiner Ecke gesessen hatte, zwitscherte nun eine fröhliche Melodie.

Es klingelte an der Tür. Ihr jüngerer Bruder Thomas stand mit einem Blumenstrauß und einem breiten Lächeln auf der Matte. Als er eintrat, hielt er einen Moment inne und blinzelte. „Donnerwetter, Brigitte!“, rief er erstaunt. „Was ist denn hier los? Man fühlt sich ja wie im Frühling. Deine Pflanzen sehen aus, als wollten sie gleich den Dschungel erobern, und selbst der kleine Hansi gibt ja ein Konzert!“

Brigitte lachte herzlich. „Das ist meine kleine Sonne, Thomas“, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf die elegante Lampe in der Ecke. „Sie hilft uns allen durch die dunkle Zeit.“

Thomas nickte beeindruckt. Er ging zum Fenster und bewunderte die kräftig grünen Blätter der Geranien. „Dieses Licht… das ist wirklich erstaunlich. Weißt du, wen das auch freuen würde?“ Er drehte sich mit einem verschmitzten Ausdruck zu ihr um. „Mimi und Tobi.“

Brigitte runzelte die Stirn. „Mimi und Tobi? Sind das neue Nachbarn?“

Thomas schmunzelte. „Nicht ganz. Das sind meine beiden Bartagamen.“

„Bart-Agamen?“, wiederholte Brigitte ungläubig und ein wenig amüsiert. „Du hältst dir Drachen in der Wohnung, Thomas?“

„Sozusagen“, erwiderte er. „Kleine, sehr faule Drachen. Sie lieben nichts mehr als Wärme und helles Licht. Den ganzen Tag liegen sie am liebsten unter ihrer eigenen kleinen Sonne und dösen. Echte Sonnenanbeter eben. Wenn ich das hier bei dir sehe, dieses helle, freundliche Licht, das dir und deinen Tieren so guttut, muss ich sofort an meine beiden Racker denken. Sie brauchen das Licht zum Leben, ganz genauso wie deine Pflänzchen.“

Brigitte sah von ihrer Lampe zu ihrem zwitschernden Kanarienvogel und dann wieder zu ihrem Bruder. Die Vorstellung, dass der manchmal etwas kauzige Thomas zu Hause saß und zwei kleinen Echsen beim Sonnenbaden zusah, brachte sie zum Lächeln. Es war ein Bild voller stiller, unerwarteter Zärtlichkeit.

„Drachen also“, sagte sie kopfschüttelnd, aber ihr Ton war warm und neugierig. „Du musst mir bei Kaffee und Kuchen alles über deine Mimi und Tobi erzählen.“

Während sie am Kaffeetisch saßen, dem Ticken der alten Standuhr und Hansis fröhlichem Gezwitscher lauschten, dachte Brigitte darüber nach, wie seltsam sich die Dinge gefügt hatten. Die Lampe, die ihre eigene kleine Welt wieder erhellt hatte, schlug nun eine Brücke zur Welt ihres Bruders und seinen kleinen Wüstenbewohnern. Sie erkannte, dass Licht nicht nur die Dunkelheit vertreibt, sondern auch die Herzen verbindet – egal ob es das Herz einer 79-jährigen Kielerin oder das zweier kleiner, sonnenbadender Drachen wärmt.